Finanzierung

Die Kunst, immer flüssig zu bleiben

Wie Unternehmen in Krisenzeiten ihre Liquidität planen können.

Hohe Inflation, stark gestiegene Energie- und Rohstoffpreise sowie eine drohende Rezession: Vor diesem Hintergrund beurteilten 39 der 49 vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) befragten Wirtschaftsverbände die Lage ihrer Mitgliedsunternehmen zum Jahreswechsel 2022/2023 schlechter als ein Jahr zuvor. Insgesamt 30 Verbände zeigten sich auch beim Blick in die Zukunft pessimistisch und erwarten für ihre Mitglieder im Jahresverlauf 2023 zum Beispiel sinkende Produktionszahlen. Ein ähnliches Bild ergab das KfW-ifo-Mittelstandsbarometer vom Dezember 2022. Demnach erwartet eine klare Mehrheit der Mittelständler und Großunternehmen für das erste Halbjahr 2023 eine Verschlechterung ihrer Geschäftslage.

Angesichts solch getrübter Aussichten scheint das Thema Liquidität bei vielen Unternehmen wieder in den Vordergrund zu rücken. Laut dem Corporate Cash Barometer der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer wiesen deutsche Unternehmen im September 2022 insgesamt 765 Milliarden Euro als Kassenbestand und in Form kurzfristiger Bankeinlagen auf – das sind noch einmal 50 Milliarden Euro mehr als im zweiten Corona-Jahr 2021 und mit 20,4 Prozent gemessen am deutschen Bruttoinlandsprodukt der größte Liquiditätspuffer seit mehr als zehn Jahren.

Wie es sich anfühlt, in Sachen Liquidität plötzlich auf dem Trockenen zu sitzen, hatten in der Corona-Krise viele Unternehmen schmerzlich erfahren: Stark rückläufige oder ganz ausbleibende Einnahmen hatten selbst erfahrene Unternehmensleitungen an ihre Grenzen geführt. Zwar hätte auch die beste Liquiditätsplanung den Corona-Schock nicht vollständig kompensieren können, doch hat die Krise vielen Unternehmern aufgezeigt, wie wichtig die Liquiditätssicherung und somit ein solider Überblick über den aktuellen und zu erwartenden Cashflow ist.

Nachholbedarf im Mittelstand

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben der Liquiditätsplanung in der Vergangenheit nicht immer die notwendige Beachtung geschenkt. Das zeigt eine Studie des Marktforschungsinstituts Innofact im Auftrag des Softwareanbieters Agicap. Demnach sind das Liquiditäts- und Finanzmanagement bei einem Viertel der 500 befragten KMU-Entscheider erst durch die COVID-19-Pandemie zu wichtigen Themen geworden. Ein Grund hierfür: Selbstständige und Unternehmen konnten ihren Anspruch auf Corona-Hilfen in Form von direkten staatlichen Zuschüssen oder KfW-Sonderkrediten nur geltend machen, wenn sie ihre Ausfälle anhand konkreter Zahlen belegen konnten.

Auch wenn die 2023 in Europa und Deutschland drohende Rezession vielen Prognosen zufolge nur moderat ausfallen dürfte, sind Einnahmeausfälle für viele Unternehmen wahrscheinlich. Diese können sich gegebenenfalls durch Liquiditätsreserven ausgleichen lassen. Dabei ist es von existenzieller Bedeutung für jedes Unternehmen, dass es seinen aktuellen Liquiditätsstatus kennt und die voraussichtliche Entwicklung der Liquidität und des Liquiditätsbedarfs möglichst präzise einschätzt. Das ist nicht immer einfach: Im aktuellen Treasurer-Panel der Zeitschrift „Der Treasurer“, an dem 70 Treasury-Chefinnen und -Chefs deutscher Unternehmen teilgenommen haben, steht das Thema Liquiditätssteuerung und Cash-Management hinter dem Risikomanagement auf Rang 2 der aktuellen Herausforderungen.

Wichtig kann das Thema Liquiditätsplanung nicht zuletzt im Hinblick auf eine drohende Insolvenz sein. Versäumt die Geschäftsführung eines Unternehmens, dem die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung droht, einen Insolvenzantrag zu stellen, weil sie die Notlage nicht frühzeitig erkennt, kann das zu zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen führen. Bei haftungsbeschränkten Unternehmen schreibt das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) die Implementierung eines Systems zur Krisenfrüherkennung vor.

Von Bedeutung ist eine fundierte Liquiditätsplanung jedoch nicht nur für und in Krisenzeiten. In guten Zeiten kann sie zum Beispiel dabei helfen, Freiräume für wichtige Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit zu identifizieren – ein Thema, das für viele Unternehmen bei einem erwarteten Anziehen der Konjunktur im Verlauf des Jahres 2023 wieder wichtiger werden dürfte. Insolvenzen treten häufig am Ende einer Krise beziehungsweise dem Beginn des Aufschwungs auf. Wenn ein Unternehmen nach einer Krise wieder mehr Umsatz machen will, muss es zumeist auch wieder mehr Waren einkaufen, also in Vorleistung treten. Wenn die Liquiditätsplanung das nicht berücksichtigt hat, kann es zu einem ernsten Finanzierungsproblem kommen. Daher ist die Empfehlung, die Liquiditätsplanung fortlaufend der jeweiligen Entwicklung anzupassen.

Liquiditätsplanung – eine Kurzanleitung

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Ist-Zustand analysieren

Ziel der Liquiditätsplanung ist die Ermittlung des voraussichtlichen Bestandes liquider Finanzmittel zu einem bestimmten Zeitpunkt. Basis dafür sind der Ist-Zustand und möglichst verlässliche Informationen über künftige Zahlungseingänge und -ausgänge. Prognosen über den künftigen Cashflow lassen sich zum einen auf Basis bekannter Daten ermitteln, etwa anhand von Zahlungszielen bereits gestellter Rechnungen, zum anderen durch Erfahrungswerte aus der Vergangenheit.

Auf der Einnahmenseite gilt es aktuell vor allem einen möglichen Rückgang der Aufträge und das Ausfallrisiko bei Forderungen realistisch einzuschätzen. Auf der Ausgabenseite sind insbesondere die hohen Kosten für Energie, Rohstoffe und Vorprodukte, aber auch zum Beispiel steigende Lohnkosten zum Ausgleich der hohen Inflation zu berücksichtigen.

Folgende Informationen sollten auf der Ausgabenseite auf jeden Fall in die Liquiditätsplanung einfließen:

  • Personalkosten
  • Miet- oder Pachtzahlungen
  • Energiekosten
  • Versicherungen
  • Kosten für den Wareneinkauf
  • Tilgungs- und Zinsraten für laufende Kredite
  • Leasingraten
  • Steuerzahlungen
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Auf digitale Tools setzen

Für eine solide Liquiditätsplanung ist es wichtig, dass alle zugrunde liegenden Daten möglichst aktuell und vollständig sind. Auf dieser Basis können dann verschiedene Cashflow-Szenarien für die nächsten Monate durchkalkuliert werden. Viele Unternehmen, auch größere, setzen dabei immer noch auf Excel-Sheets. Komfortabler und sicherer sind spezialisierte Softwarelösungen, die es zum Beispiel als cloudbasierte Abomodelle gibt. Tipp: Das Steuer- und Finanzportal Haufe.de bietet in einem umfassenden Artikel Hilfestellung bei der Auswahl von Software zur Liquiditätsplanung.

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Engpässe erkennen, Chancen nutzen

ines der wichtigsten Ziele einer mittel- bis langfristigen Liquiditätsplanung ist es, böse Überraschungen zu verhindern. Insbesondere für Unternehmen aus Branchen, die von den hohen Energiepreisen und Rohstoffpreisen stark betroffen sind, ist es wichtig, verschiedene Szenarien durchzuspielen. Dazu gehört auch ein Stress-Szenario, das weiter steigende Preise und möglicherweise ausfallende Einnahmen berücksichtigt.

Zeichnet sich ein Liquiditätsengpass ab, können schnell entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehört das Verschieben geplanter Investitionen oder die Vermietung von Anlagevermögen. Wichtig ist auch ein frühzeitiges Gespräch mit der Bank, um aktuelle Kreditvereinbarungen etwa für den Kontokorrentkredit anzupassen oder ergänzende Finanzierungs- oder Umschuldungsmöglichkeiten zu erörtern.

Finanzierungsalternativen prüfen

Um ihre Liquidität zu erhöhen, wenden sich Unternehmen vor allem an ihre Banken. Im dritten Quartal 2022 stieg die Kreditvergabe an inländische Unternehmen und Selbstständige in Deutschland gegenüber dem Vorquartal um fast 50 Milliarden Euro bzw. 4,6 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum betrug das Kreditwachstum sogar mehr als 12 Prozent. Das ist der größte jemals in Deutschland verzeichnete Kreditanstieg. Ein Grund für das massive Kreditwachstum dürfte neben den zunehmenden Rezessionssorgen auch die Zinswende sein, die Unternehmen dazu veranlasst haben könnte, sich vor weiteren Zinsanstiegen mit Liquidität einzudecken.

Wird im Rahmen der Liquiditätsplanung ein drohender Liquiditätsengpass identifiziert, sollte das betroffene Unternehmen so schnell wie möglich das Gespräch mit der Hausbank suchen und Transparenz schaffen, sprich: alle Zahlen auf den Tisch legen. Gegenseitiges Vertrauen ist immer die beste Basis für eine gemeinsame Lösung. Wenn die Hausbank einem Unternehmen einen Kredit gibt, dann bedeutet das in der Regel auch, dass sie von diesem Unternehmen und seinem Geschäftsmodell überzeugt ist. Wenn sich durch ein so einschneidendes Ereignis wie die Energiepreisexplosion die Rahmenbedingungen für das Unternehmen kurzfristig ändern, die Rückkehr zu einem normalen Geschäftsalltag aber früher oder später möglich scheint, gibt es für die Hausbank oft erst mal keinen Grund, an dieser Überzeugung zu rütteln.

Neben klassischen Kreditfinanzierungen könnten dann auch alternative Finanzierungsformen wie Leasing oder Factoring, also der Verkauf von Forderungen, zur Liquiditätssicherung in den Fokus genommen werden. Was im Einzelfall infrage kommt, hängt von vielen Faktoren ab, etwa dem Volumen des Finanzierungsbedarfs oder dem Geschäftsmodell. Factoring etwa kann bei einer Vielzahl von Forderungen mit längeren Zahlungszielen ein besonders sinnvoller Finanzierungsbaustein sein.


Stand: Januar 2023; alle Angaben ohne Gewähr
Bildnachweis: iStockphoto / Jennifer_Sharp

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