Energie & Nachhaltigkeit

Grün ist die Hoffnung

Warum grüner Wasserstoff der Hoffnungsträger für eine klimaneutrale Wirtschaft ist.

182 Millionen Tonnen Güter wurden 2022 von der Binnenschifffahrt in Deutschland transportiert, vor allem flüssige Mineralölerzeugnisse, Kohle, Steine und Erden sowie Eisenerze. Eine große Bedeutung haben Flüsse und Seen als Verkehrsweg zum Beispiel für die chemische Industrie, die für mehr als 10 Prozent der gesamten Beförderungsmenge der Binnenschifffahrt steht. Das Problem: Binnenschiffe verbrauchen laut dem Bundesumweltamt zwar rund ein Drittel weniger Energie als eine entsprechende Anzahl schwerer Lkw gleicher Ladekapazität und stoßen entsprechend weniger Treibhausgase aus. Dafür emittieren vor allem ältere Schiffsmotoren reichlich gesundheitsschädlichen Feinstaub und Stickstoffoxid.

Ganz anders ist das beim Schubboot Elektra, das seit Mai 2022 auf Erprobungsfahrten über die Berliner Binnengewässer schippert: kein wummernder Schiffsmotor, keine dunkle Abgaswolke, kein beißender Dieselgeruch. Denn die an der Technischen Universität (TU) Berlin entworfene Elektra wird, wie es der Name schon vermuten lässt, mit einem Elektromotor angetrieben. Und der bezieht seine Energie hauptsächlich aus einer an Bord befindlichen Brennstoffzelle, die mit „grünem“ Wasserstoff befeuert wird. Neben Strom für den E-Antrieb entstehen dabei lediglich Wärme und Wasserdampf. Das macht die Elektra zum weltweit ersten emissionsfreien Schubboot der Welt – eine Schiffsklasse, die mit Gütern beladene sogenannte Leichter, die selbst keinen Antrieb haben, über Flüsse und Kanäle schiebt.

Mit einer Wasserstofftankfüllung kommt die Elektra etwa 340 Kilometer weit. Das reicht zum Beispiel für die Fahrt von Berlin nach Lüneburg bei Hamburg, wo die sechs Wasserstoffcontainer des Schiffs mithilfe eines bordeigenen Krans gewechselt werden können. Auch die 250 zusätzlichen Akkus im Bauch der Elektra können dort aufgeladen werden. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Reichweite sogar auf 400 Kilometer erweitern. Im April 2023 hat die Elektra testweise einen 130 Meter langen Schubverband mit 1.500 Tonnen Stahlschrott von Berlin zu einem Stahlwerk nach Brandenburg transportiert. Vor allem dicht besiedelte Regionen könnten künftig vom Einsatz elektromobiler Schiffe profitieren: „Die Elektra entlässt nicht nur keine Emissionen in Form von Schadstoffen in die Luft, sie ist auch ein extrem leises Schiff“, betont Projektleiter Prof. Gerd Holbach die Vorteile des Wasserstoffantriebs.

Hoffnungsträger der Energiewende

Grüner Wasserstoff gilt vielen als Hoffnungsträger der Energiewende, und das nicht allein im Transportsektor, wo Wasserstoff über Brennstoffzellen oder in Form synthetischer Kraftstoffe neben Schiffen auch schwere Lkw und sogar Flugzeuge mit Antriebsenergie versorgen könnte. Auch als Energieträger in der Wärmeversorgung von Haushalten, etwa als Beimischung im Erdgasnetz, und nicht zuletzt in der Industrie könnte grüner Wasserstoff erheblich zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen. In energieintensiven Branchen wie der chemischen oder der Stahlindustrie scheint grüner Wasserstoff aktuell sogar die einzige Möglichkeit zu sein, den Verbrauch fossiler Brennstoffe deutlich zu senken. Zudem könnte Wasserstoff als Energiespeicher für Produktionsüberschüsse aus Solar- und Windkraftanlagen genutzt werden.

Zum Transport von grünem Wasserstoff könnte in Deutschland künftig das bereits vorhandene Gasnetz genutzt werden. „Das heute rund eine halbe Million Kilometer lange Leitungsnetz ist bereit, Gase hin zu den Anwendungen in Industrie und Wärme zu transportieren“, sagt Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e. V. Die gesamte stahlbasierte Gasleitungsinfrastruktur könne Wasserstoff aufnehmen. Speichern ließe sich Wasserstoff in sogenannten Untergrund-Kavernenspeichern, die rund zwei Drittel des Gesamtvolumens der deutschen Gasspeicher ausmachen.

Die Farben des Wasserstoffs

Wasserstoff (Elementsymbol H für lateinisch Hydrogenium) ist das häufigste chemische Element in unserem Universum und kommt in der Natur ausschließlich gebunden vor, etwa im Wasser (H2O). Das farb- und geruchlose ungiftige Gas enthält mehr Energie pro Masse als jeder andere Brennstoff und kann in verschiedenen Verfahren produziert werden. Wie klimafreundlich Wasserstoff ist, hängt vom jeweiligen Produktionsverfahren, der dafür eingesetzten Energiequelle und den dabei entstehenden Emissionen ab. Zur Unterscheidung wird ein Farbcode benutzt.

Klimaziele treiben Wasserstoffnachfrage

Bei all den wunderbaren Aussichten für grünen Wasserstoff: Das Gas ist bislang Mangelware. Und die weltweiten Bestrebungen zum Erreichen der Klimaneutralität dürften die Nachfrage in den nächsten Jahrzehnten massiv steigen lassen. Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) erwartet, dass sich der jährliche globale Wasserstoffbedarf von zuletzt 76 Megatonnen bis 2050 auf 600 Megatonnen nahezu verachtfachen könnte. Eine Megatonne entspricht 1 Million Tonnen H2 bzw. 33,33 Terawattstunden (TWh) Energie (basierend auf dem unteren Heizwert von Wasserstoff). Der Nationale Wasserstoffrat – ein von der Bundesregierung berufenes unabhängiges, überparteiliches Beratungsgremium – rechnet für Deutschland bis 2030 mit einem Wasserstoffbedarf von 56 bis 93 TWh pro Jahr. Bis 2050 könnte der Bedarf demnach auf 964 bis 1.364 TWh steigen.

Königsdisziplin Sektorkopplung

Im besten Fall werden verschiedene Bereiche der Wasserstoffproduktion und -nutzung miteinander vernetzt. Erprobt wird diese sogenannte Sektorenkopplung derzeit im „Reallabor Westküste 100“ in Schleswig-Holstein. Dafür hat sich eine branchenübergreifende Allianz aus privatwirtschaftlichen und kommunalen Unternehmen sowie einer wissenschaftlichen Einrichtung gebildet. Diese Allianz will mithilfe von Offshore-Windenergie grünen Wasserstoff produzieren, der dann sowohl bei der Produktion klimafreundlicher synthetischer Treibstoffe für Flugzeuge zum Einsatz kommen, als auch ins Gasnetz eingespeist werden soll. Die bei der Elektrolyse entstehende Abwärme könnte zum Beispiel als Prozesswärme in einem Gewerbegebiet genutzt werden, der anfallende Sauerstoff soll in den Verbrennungsprozess eines Zementwerks eingespeist werden. Das bei der Zementherstellung unvermeidlich entstehende Kohlendioxid wiederum könnte zusammen mit grünem Wasserstoff in einer Raffinerie zur Herstellung von synthetischen Kohlenwasserstoffen (z. B. als Flugkraftstoff) eingesetzt werden. Mehr Infos unter www.westkueste100.de

Vielfältige Fördermöglichkeiten

Die damalige Bundesregierung hat im Juni 2020 mit der Verabschiedung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) einen Handlungsrahmen für die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette – von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung sowie Weiterverwendung – geschaffen und diesen durch einen Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen unterlegt. Unter anderem sollen die Elektrolyse-Kapazitäten in Deutschland bis 2030 deutlich ausgebaut werden.
Unternehmen, die in das Thema Wasserstoff einsteigen möchten, finden auf der Website der Nationalen Wasserstoffstrategie unter anderem einen Überblick über Fördermöglichkeiten. Welche Fördermöglichkeiten für ein entsprechendes Projekt geeignet sein könnten, erläutert zudem im Detail die Lotsenstelle Wasserstoff. Einen guten Überblick über nationale und internationale Förderprogramme gibt es außerdem bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Das Potenzial zur heimischen Erzeugung von grünem Wasserstoff dürfte jedoch bei Weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Ein Großteil des voraussichtlich benötigten Wasserstoffs muss deshalb importiert werden. Die Bundesregierung will in den kommenden Jahren mehr als 5 Milliarden Euro in den Import von Wasserstoff investieren und hat dafür bereits Wasserstoffpartnerschaften und Absichtserklärungen mit beispielsweise Australien, Kanada, Namibia, Neuseeland und Norwegen geschlossen.

Marktchancen für deutsche Unternehmen

Der Einsatz von grünem Wasserstoff in möglichst vielen Wirtschaftsbereichen ist nicht nur eine klimapolitische Notwendigkeit, er bietet deutschen Unternehmen auch große Marktchancen, zum Beispiel bei der Bereitstellung von Anlagen zur Elektrolyse oder beim Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur. Laut dem Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband eröffnet sich dadurch allein für den deutschen Maschinenbau bis 2030 ein Absatzpotenzial von insgesamt bis zu 500 Milliarden Euro.

Wie das Thema grüner Wasserstoff auch mittelständischen Unternehmen zugutekommen kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel des Schubboots Elektra. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) fördert das rund 13 Millionen Euro teure Entwicklungsprojekt mit rund 8 Millionen Euro. Davon profitieren nicht nur die TU Berlin, sondern auch die inhaberinnengeführte Schiffswerft im sachsen-anhaltinischen Derben, auf der das Schiff gebaut wurde, sowie die Lieferanten für die Brennstoffzellen, das Wasserstoff- und das elektrische Energiesystem sowie die Akkus. Schiffseigentümer der Elektra ist die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft, eine 100-prozentige Tochter der Stadt Berlin. Ende 2024 soll das Schubboot in den regulären Betrieb gehen. In Hamburg werden derzeit nach dem Vorbild der Elektra bereits drei weitere Schiffe mit Wasserstoffantrieb entwickelt.
 


Alle Angaben ohne Gewähr; Stand: Juli 2023
Bildnachweis: iStockphoto / Scharfsinn86, witsarut sakorn, Olga Naumova, newannyart (2), SiberianArt, Naratip Chandapaeng; Grafik-Montage: HMC
 

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