Die Herausforderungen für Unternehmen in Deutschland werden nicht kleiner. Zwar könnte die Inflation ihren Höhepunkt überschritten haben und auch die globalen Lieferketten scheinen sich nach dem Ende der Null-Covid-Politik in China langsam wieder zu entspannen; doch die Preise für Energie und Vorprodukte verharren weiter auf hohen Niveaus. Zudem ist trotz der zuletzt positiven Signale die Entwicklung der Nachfrage aus dem Ausland weiter mit Unsicherheiten behaftet. Im Inland macht den Unternehmen vor allem die Investitionsschwäche zu schaffen. „Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen werden auch Ende dieses Jahres noch nicht das Vorkrisenniveau von 2019 erreicht haben“, erwartet Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Dabei wären gerade jetzt dringend mehr Investitionen erforderlich, um Herausforderungen wie den Strukturwandel, die grüne Transformation der Wirtschaft, den Fachkräftemangel oder die Diversifizierung von Lieferketten meistern zu können.
Finanzierung
Factoring – der Liquiditätsturbo
Finanzierungsalternativen dringend gesucht
Das Problem: In diesem Umfeld wird es für Unternehmen immer schwieriger, selbst dringend erforderliche Investitionen zu finanzieren – vor allem für Firmen ohne Preissetzungsmacht, die zunehmend mit sinkenden Erträgen und Liquiditätsengpässen zu kämpfen haben. Denn dies wiederum kann sich negativ auf die Ratings und somit die Kreditvergabe auswirken. Zumal laut der Kreditmarktstudie 2023 der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY fast die Hälfte der befragten Banken ihre Kreditvergabestandards aufgrund der Rekordinflation verschärft hat. 43 Prozent der Institute haben deswegen sogar bereits Kreditanträge abgelehnt. Nach Meinung der Experten von EY dürfte es in den kommenden zwölf Monaten vor allem für Energie- und Handelsunternehmen schwierig werden, Kredite aufzunehmen. Zudem laufen die betroffenen Unternehmen Gefahr, ihre Kreditvereinbarungen beziehungsweise Covenants zu reißen. Und nicht zuletzt können Liquiditätsprobleme bei Kunden zu Forderungsausfällen führen, welche negativ auf die eigene Liquidität durchschlagen würden.
Factoring – die etablierte Finanzierungsalternative
Vor diesem Hintergrund könnte sich Factoring, also der Forderungsverkauf, als intelligente Finanzierungsalternative anbieten. Die Zahl der Unternehmen, die auf die Vorfinanzierung von Forderungen aus Lieferungen und Dienstleistungen durch eine Factoring-Gesellschaft (den sogenannten Factor) setzen, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Nach Angaben des Deutschen Factoring Verbands nutzten 2022 mehr als 105.000 Firmen in Deutschland Factoring, darunter sowohl kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als auch große Konzerne. Die Factoring-Quote, also das Verhältnis zwischen dem angekauftem Factoring-Forderungsvolumen und dem Bruttoinlandsprodukt lag bei 9,7 Prozent.
Die wichtigsten Factoring-Arten im Überblick
Inhouse-Factoring
Beim Inhouse-Factoring übernimmt der Factor die Finanzierungs- und Delkrederefunktion. Das Debitorenmanagement verbleibt treuhänderisch beim Factoring-Kunden. Zahlungen der Schuldner gehen auf das Konto des Factors oder auf an ihn verpfändete Konten.
Finanz-Factoring
Beim Finanz-Factoring übernimmt der Factor nur die Finanzierungs- und Delkrederefunktion. Das Debitorenmanagement verbleibt treuhänderisch beim Factoring-Kunden. Die Zahlungen der Schuldner erfolgen unverändert an den Factoring-Kunden. Im Rahmen vertraglich vereinbarter Abrechnungsturnusse werden neu angekaufte Forderungen und Zahlungen der Schuldner für an den Factor verkaufte Forderungen abgerechnet. Die Konten des Factoring-Kunden werden nicht verpfändet.
Unterschieden wird grundsätzlich noch in stilles und offenes Factoring. Beim stillen Factoring legt der Factoring-Kunde seinen Debitoren die Forderungsabtretung nicht offen. Beim offenen Verfahren werden die Debitoren über den Forderungsverkauf informiert. Kommt Factoring im grenzüberschreitenden Warenverkehr zum Einsatz, spricht man von Export- bzw. Import-Factoring. Eine Sonderform ist das Lieferanten- oder Reverse-Factoring. Dabei finanziert der Factor Verbindlichkeiten gegenüber den Lieferanten des Factoring-Kunden. Damit können Liquiditätsengpässe beim Einkauf vermieden und den Lieferanten die nötige Liquidität verschafft werden, um einen Auftrag termingerecht auszuführen.
Factoring: Viele Vorteile
Für die Factoring-Kunden ergibt sich aus dem Forderungsverkauf eine Reihe von Vorteilen:
- Mehr Liquidität: Durch die sofortige Verfügbarkeit von Forderungen verbessern Factoring-Kunden ihren Cashflow und erhöhen umsatzkongruent ihre Liquidität. Dadurch können sie zum Beispiel Forderungen schneller begleichen und Skontovorteile nutzen.
- Optimierung der Bilanz: Mit dem Forderungsverkauf reduzieren Unternehmen ihr Working Capital und optimieren so ihre Bilanzen. Das bringt Vorteile beim Kreditrating und sorgt für verbesserte Finanzierungsbedingungen.
- Schutz vor Forderungsausfällen: Die vollständige Risikoabsicherung für den Delkrederefall hilft unter anderem dabei, Kreditvereinbarungen beziehungsweise Covenants einzuhalten.
Für die Vorfinanzierung der Forderungen berechnet der Factor einen Preis. Dieser richtet sich unter anderem nach der Zahl der Forderungen, der Zahl der Debitoren sowie deren Bonitäten. Die Konditionen werden in einem Rahmenvertrag festgehalten.
Besonders geeignet ist Factoring für Unternehmen in der Lieferkette, die sich auf Kundenseite mit langfristigen Zahlungszielen und auf Lieferantenseite mit kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen konfrontiert sehen. „Für viele, auch international agierende Kunden ist Factoring ein essenzieller Teil ihrer Finanzplanung“, sagt Dinko Mehmedagic, Geschäftsführer der PB Factoring GmbH (siehe auch Interview unten), der Factoring-Gesellschaft des Deutsche Bank Konzerns. „Mit dem Verkauf ihrer Forderungen erhalten sie sofort Liquidität, die sie zum Beispiel für das schnelle Bezahlen der eigenen Rechnungen nutzen können“, ergänzt der Factoring-Experte. Die PB Factoring setzt bei ihrem Angebot auf weitgehend digitalisierte Prozesse. Jeder Kunde hat Zugang zum Kundenportal und übermittelt seine Debitoren- bzw. Forderungsdaten online. Das System prüft dann, ob der Schuldner bereits bekannt ist und inwieweit – und zu welchen Konditionen – die Forderung übernommen werden kann. Die Kunden können das Kundenportal jederzeit nutzen, um alle Details bis hin zur einzelnen Forderung abzurufen.
Mit Factoring nachhaltig finanzieren
Um Kunden bei ihren grünen Transformationsanstrengungen zu unterstützen, bieten erste Factoring-Gesellschaften sogenannte ESG-gelinkte Produkte an. Die drei Buchstaben E, S und G beschreiben die zentralen nachhaltigkeitsbezogenen Verantwortungsbereiche Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Das Nachhaltigkeits-Factoring der PB Factoring GmbH etwa wird an spezifischen Nachhaltigkeitsleistungszielen (engl.: Sustainability Performance Targets) beziehungsweise entsprechenden Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators, kurz KPI) festgemacht. Denkbare Ziele können zum Beispiel das Erreichen eines qualifizierten ESG-Ratings einer Ratingagentur oder eine bestimmte Reduzierung des CO2-Ausstoßes sowie Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz von Produktionsanlagen oder zur Umstellung des Fuhrparks auf Fahrzeuge mit alternativen Antrieben sein.
Interview
Dinko Mehmedagic, Geschäftsführer der PB Factoring GmbH
Wie hat sich der Factoring-Markt in Deutschland zuletzt entwickelt?
Der Factoring-Markt in Deutschland zeichnet sich bereits seit vielen Jahren durch ein überdurchschnittliches Wachstum aus, das deutlich über jenem des Bruttoinlandsprodukts liegt. Im Jahr 2022 ist der deutsche Factoring-Markt rund 20 Prozent auf etwa 372 Milliarden Euro gewachsen.
Welche Rolle spielen Warenkreditversicherungen beim Factoring und was bedeutet in diesem Zusammenhang „True Sale“?
In der Regel werden Forderungen, die von Factoring-Unternehmen angekauft werden, durch Warenkreditversicherer abgesichert. Entweder hat der Factoring-Kunde bereits eine Warenkreditversicherung oder der Factor schließt eine solche ab. Im Durchschnitt werden damit rund 90 Prozent der Nettoforderungen abgesichert. Der nicht entsprechend abgesicherte Anteil wird als Blankorisiko vom Factor in seine Bücher genommen. „True Sale“ bedeutet, dass 100 Prozent der Forderungen durch den Factor angekauft und somit auch 100 Prozent des Ausfallrisikos (Delkredere) übernommen werden. Damit wird dem Factoring-Kunden die Optimierung seiner Bilanz ermöglicht.
Ist Factoring eher eine Lösung für Unternehmen mit schwacher oder sich verschlechternder Bonität?
Das können wir so nicht beobachten. Im Gegenteil: Wir sehen ein sehr großes Interesse von Unternehmen mit einer sehr guten Bonität und Liquidität. Diese nutzen Factoring verstärkt als zusätzliches Finanzierungsinstrument in ihrem Finanzierungsmix. Gründe dafür sind die inzwischen sehr einfache Abwicklung, kompetitive Preise und die Möglichkeit, die eigenen Finanzierungskapazitäten bei den Banken oder auf dem Kapitalmarkt zu schonen. Auch gibt es vermehrt Unternehmen, die bestehende ABS- oder ABCP-Programme in Factoring-Programme überführen, da Letztere unter anderem sehr flexibel bei Veränderungen in der Struktur sind, deutlich schlankere Vertragsstrukturen haben und unabhängig von Volatilitäten im Kapitalmarkt beziehungsweise bei Investoren sind. Zudem entlasten Factoring-Programme die Treasury-Ressourcen, weil sie deutlich schlanker sind, zum Beispiel bei den Reporting-Anforderungen.
Alle Angaben ohne Gewähr; Stand: Juni 2023
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