Zeugnis­sprache – Arbeits­zeug­nisse lesen und ver­stehen

  • Das Arbeitszeugnis ist oft Bestandteil einer Bewerbung und kann ausschlaggebend dafür sein, ob Sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden oder nicht.
  • Anders als bei Schulzeugnissen gibt es hier keine Noten von 1 bis 6. Vielmehr haben sich in der Arbeitswelt subtile Formulierungen etabliert – die teilweise versteckte Kritik enthalten.
  • Diese Seite bietet Ihnen eine Übersicht, um gängige Formulierungen im Arbeitszeugnis zu entschlüsseln.

Unser Tipp

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Arbeits­zeug­nis: „Noten“ als For­mu­lier­ungen

Bei einer Kündigung ist es für beide Seiten wünschenswert, dass sie im Guten auseinandergehen. Falls es doch anders kommt, darf ein Arbeitgeber trotzdem keine negativen Aussagen über Sie im Arbeitszeugnis treffen. Ein Arbeitszeugnis muss wohlwollend formuliert sein, wie es in der Juristensprache lautet. Kritik an der Arbeitsweise oder ein Tadel wegen häufiger Fehlzeiten sind beispielsweise nicht gestattet – zumindest nicht direkt.

Personalabteilungen haben aus diesem Grund eine Zeugnissprache entwickelt. Dabei handelt es sich um eine Art Code für Arbeitszeugnisse, der negative Bemerkungen über einen Mitarbeiter verschleiern soll. Darunter ist eine Vielzahl an Formulierungen zu verstehen, die beim ersten Lesen durchaus positiv klingen. In Wirklichkeit können sich aber schlechte Leistungen oder ein problematisches Sozialverhalten dahinter verbergen.

Tipp

Beschäftigte in Deutschland haben einen gesetzlichen Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Darauf sollten Sie auch bestehen, da ein einfaches Arbeitszeugnis wenig Aussagekraft bei Bewerbungen hat. Können Sie hervorragende Arbeitsleistungen und ausgezeichnete soziale Kompetenzen vorweisen, haben Sie bessere Chancen auf ein Bewerbungsgespräch.

Arbeits­zeug­nisse richtig lesen: Bei­spiel

„Frau B. hat ihre Aufgaben im Großen und Ganzen zufriedenstellend erfüllt.“ Eine scheinbar wohlwollende Formulierung wie diese kann darauf hinweisen, wie mehr oder weniger gewissenhaft eine Person ihre Arbeit ausgeführt hat. Glücklicherweise lässt sich die wahre Bedeutung oftmals einfach entschlüsseln.
Mit den nachfolgenden Informationen können Sie Arbeitszeugnisse besser verstehen.

Stei­ge­run­gen als Noten­skala

Die Zeugnissprache setzt auf codierte Formulierungen. Je nach Wortwahl lassen sich die Aussagen daher als positiv oder eher kritisch interpretieren. Eine gängige Formulierungstechnik sind Steigerungen, die im Arbeitszeugnis Noten von „sehr gut“ bis „ungenügend“ entsprechen.

  • Note 1 (sehr gut): Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben stets zur vollsten Zufriedenheit.
  • Note 2 (gut): Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben stets zur vollen Zufriedenheit.
  • Note 3 (befriedigend): Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben zur vollen Zufriedenheit.
  • Note 4 (ausreichend): Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben zur Zufriedenheit.
  • Note 5 (mangelhaft): Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben im Allgemeinen zur Zufriedenheit.
  • Note 6 (ungenügend): Er hat sich darum bemüht, die ihm übertragenen Aufgaben zu unserer Zufriedenheit zu erledigen.

Gut zu wissen: Möglich sind zudem eindeutige Formulierungen – „sehr gute Arbeitsergebnisse“. Damit ist tatsächlich gemeint, dass der Arbeitgeber mit den erbrachten Leistungen absolut zufrieden war.

Ne­ga­tion­en

Eine Verneinung erkennen Sie an Wörtern wie „nicht“ oder „kein“. Die Aussage erscheint dadurch höflich, hat allerdings eine abwertende Bedeutung.

  • Frau B. ist nicht negativ am Arbeitsplatz aufgefallen.
  • Ihr Verhalten im Team gab keinen Anlass zu Beanstandungen.
  • Im Kundenkontakt konnten wir nichts an ihren kommunikativen Fähigkeiten beanstanden.

Diese Formulierungen weisen auf eine schwierige Mitarbeiterin hin, die u. a. eine mangelnde Kooperationsbereitschaft zeigt.

Passive Formu­lie­rungen

Eine passive Sprache deutet genau auf diese Charaktereigenschaft bei Beschäftigten hin. Sprich: Der Person fehlt es insbesondere an Engagement und Eigeninitiative.

  • Frau B. wurden Aufgaben in der Lagerlogistik übertragen.
  • Sie wurde für folgende Tätigkeiten bei uns im Unternehmen eingesetzt: …

Ge­läuf­ige Flos­keln

Personaler bedienen sich darüber hinaus bestimmter Floskeln, die eine explizite Bedeutung haben. Bei einigen Formulierungen wird deshalb erst auf den zweiten Blick deutlich, welche verschlüsselte Botschaft dahintersteckt.

  • Häufige Krankschreibungen: Wir wünschen Frau B. für Ihre berufliche Zukunft alles Gute, vor allem Gesundheit.
  • Unzureichende Leistungen: Ihre Leistungen haben uns im Wesentlichen / im Großen und Ganzen zufriedengestellt.
  • Fehlende Teamfähigkeit: Frau B. wurde bei uns als umgängliche Mitarbeiterin geschätzt.
  • Bereicherung auf Kosten des Arbeitgebers: Herr T. konnte seine eigenen Interessen, mit denen der Firma in Einklang bringen.

Doppel­deutige Aus­sagen

Einige Wörter im Deutschen oder auch ganze Sätze können bekanntlich unterschiedliche Bedeutungen haben. In Arbeitszeugnissen finden sich mitunter doppeldeutige Formulierungen, mit denen Arbeitgeber indirekt Kritik an der betroffenen Person üben.

  • Redet viel, erbringt aber wenig Leistung: Frau B. war am Arbeitsplatz stets offen für Gespräche mit ihren Kollegen.
  • Übergriffiges Verhalten im Team: Herr T. galt als geselliger Mitarbeiter, der Interesse und Einfühlungsvermögen für seine Kollegen zeigte.
  • Streitlustige Person: Er trat selbstbewusst auf und brachte viele Verbesserungsvorschläge ein.

Reihen­folge bei Be­ur­tei­lung des Sozial­ver­haltens

In Arbeitszeugnissen wird manchmal beschrieben, wie sich Beschäftigte gegenüber Kunden, Kollegen und Führungskräften verhalten haben. Wenn Vorgesetzte wie in diesem Satz an letzter Stelle der Aufzählung stehen, impliziert das Arbeitszeugnis ein Autoritätsproblem.

  • Frau B. verhielt sich immer angemessen gegenüber Kollegen und Vorgesetzten.

Damit drücken Arbeitgeber subtil verschiedene Fehlverhalten aus, wie etwa mangelnden Respekt oder eine ablehnende Haltung bei Anweisungen.

 

Feh­len­de Aus­sagen

Wenn das Arbeitszeugnis und die Formulierungen gut erscheinen, ist dennoch Vorsicht geboten. Sind im Arbeitszeugnis keine typischen Floskeln wie etwa eine Dankesformel enthalten, kann dies auf mögliche Konflikte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinweisen.

Ihr Rechts­an­spruch auf ein wohl­wollendes Arbeits­zeugnis

Wie Sie sehen, setzt die Zeugnissprache zum Teil auf Umschreibungen und codierte Botschaften. Prüfen Sie Ihr Arbeitszeugnis deshalb kritisch und lassen Sie sich im Zweifelsfall professionell beraten. Dafür können Sie sich an spezialisierte Dienstleister oder Kanzleien für Arbeitsrecht wenden, die das Arbeitszeugnis auf versteckte Kritik und unklare Formulierungen hin untersuchen. Denn nicht alles ist erlaubt – insbesondere bei Themen wie Mitgliedschaft im Betriebsrat, Krankheiten und Erziehungsurlaub gibt es strikte Regelungen zu beachten.

Beschäftigte haben Anspruch darauf, ein wohlwollendes und wahrheitsgemäßes Arbeitszeugnis von ihrem Arbeitgeber zu erhalten. Die Korrektur eines fehlerhaften oder schlechten Arbeitszeugnisses lässt sich daher unter Umständen vor Gericht durchsetzen.