09.12.2022

Neue En­er­gie aus dem Meer

Geht es um erneuerbare Energien, ist meist von Sonne und Wind die Rede. Doch auch das Meer birgt gewaltige Energieressourcen. Ihre Nutzung hat gerade erst begonnen.

Die Nutzung hat be­reits be­gon­nen

Der Prototyp für die Stromerzeugung mithilfe von Meereskraft sieht aus wie ein großes gelbes U-Boot mit schwarzen Flügeln: „O2“, so der Name der 74 Meter langen Gezeitenturbine, wurde Anfang 2021 vor den schottischen Orkney-Inseln im Meer verankert und soll saubere Energie für rund 2.000 Haushalte und eine Anlage zur Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff liefern. Angetrieben wird die Turbine mit einer Maximalleistung von zwei Megawatt von der besonders starken Gezeitenströmung, die in der Meerenge „Fall of Warness“ herrscht.

Prin­zip Was­ser­kraft­werk

Das technische Prinzip von Gezeitenkraftwerken wie O2 entspricht grundsätzlich dem von klassischen Wasserkraftwerken. Durch die Strömung des Wassers wird eine Turbine in Drehung versetzt. Die dabei entstehende Rotationsenergie wird an einen Generator übertragen, der sie in elektrische Energie umwandelt. Anders als zum Beispiel bei einem Staudammkraftwerk gerät das Wasser dabei allerdings nicht durch ein Gefälle, sondern allein durch den Wechsel von Ebbe und Flut in Bewegung. Wie das im Fall von O2 funktioniert, können Sie sich hier im Youtube-Video ansehen. Der von der Turbine erzeugte Strom wird dann über Unterseekabel in das Stromnetz des European Marine Energy Centre (EMEC) eingespeist. Das Forschungsinstitut bietet Firmen und Forschungsgesellschaften die Möglichkeit, Prototypen von Wellen- und Gezeitenkraftwerken unter realen Bedingungen zu testen.

Energie­quel­len der Zu­kunft

Schon seit Langem werden weltweit Möglichkeiten erforscht, die in den Ozeanen gespeicherte Energie für den Menschen nutzbar zu machen. Eine naheliegende Idee, schließlich sind rund zwei Drittel der Erdoberfläche von Meeren bedeckt. Grundsätzlich gibt es für die Gewinnung von „Meeresenergie“ vier Möglichkeiten. Neben Gezeitenkraftwerken können auch Wellenkraftwerke die kinetische Energie (Bewegungsenergie) des Wassers in elektrische Energie umwandeln. Zudem werden Technologien entwickelt, die den unterschiedlichen Salzgehalt von Ozeanen und Flüssen und den Temperaturunterschied zwischen wärmerem Oberflächenwasser und kühleren tieferen Wasserschichten zur Stromerzeugung nutzen.

Insgesamt steht die Nutzung der Meeresenergie jedoch erst am Anfang. Laut der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) verfügen die weltweit installierten marinen Kraftwerke aktuell über eine Gesamtkapazität von gerade einmal rund 527 Megawatt . Zum Vergleich: Allein die deutschen Offshore-Windenergieanlagen hatten 2020 eine Kapazität von 7.770 Megawatt . Der Kampf gegen den Klimawandel könnte der Stromerzeugung im Meer nun jedoch weltweit Auftrieb verleihen. Die Initiative Ocean Energy Systems, an der 25 Staaten aus allen Kontinenten beteiligt sind, schätzt allein das weltweite Stromerzeugungspotenzial für Gezeitenkraftwerke auf 1.200 Terawattstunden pro Jahr – das entspricht in etwa dem Stromverbrauch aller privaten Haushalte in Deutschland über einen Zeitraum von 10 Jahren. Noch sind die Kosten für die Energiegewinnung aus dem Meer allerdings deutlich höher als etwa für Windenergie. Das könnte sich jedoch ändern, wenn eines Tages größere, kommerzielle Anlagen an den Start gehen. Die Testturbine O2 dürfte ein weiterer Schritt in diese Richtung sein.