Der Lipstick-Index als Wirtschaftsindikator

Anleger versuchen ebenso wie Unternehmer möglichst genau abzuschätzen, wie die wirtschaftliche Stimmung im Land ist. Je genauer die Prognose, desto zielgerichteter können sie investieren. Ein Mittel zur Voraussage ist der Lipstick-Index. Doch haben Lippenstifte tatsächlich etwas mit der Wirtschaftslage zu tun? Und wie funktioniert das, falls die Annahme stimmt? Hier erfahren Sie alles über den Lipstick-Index und seine Aussagekraft.

Unser Tipp

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Was ist eigentlich der Lippenstift-Index?

Wenn der Lippenstift-Absatz boomt, steht es schlecht um die Wirtschaft eines Landes. Das besagt zumindest der Lipstick-Index, den ein US-amerikanischer Geschäftsmann ersonnen hat. Zu Recht? Der Lipstick-Index soll Indikator für die wirtschaftliche Situation in einem Land sein. Geht es den Bürgern gut, kaufen sie viele teure Produkte wie Mode, Schmuck und Schuhe. Ist die ökonomische Lage jedoch eher ungünstig, werden vermehrt Kleinigkeiten gekauft – wie beispielsweise Lippenstifte. Aber lässt sich diese These tatsächlich verifizieren?

Kosmetika-Boom in Krisenzeiten

Erdacht hat den Lipstick-Index Leonard Lauder, der ehemalige Vorstandsvorsitzende des US-amerikanischen Kosmetikkonzerns Estée Lauder. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 beobachtete der Geschäftsmann, dass die Lippenstift-Verkäufe seines Konzerns nach oben schossen. Daraus schlussfolgerte er, dass der Absatz mit der wirtschaftlichen Krise zusammenhängen müsse, und interpretierte diese Entwicklung wie folgt: Müssen Verbraucher stärker auf ihr Geld achten, verzichten sie auf größere Anschaffungen und belohnen sich stattdessen vermehrt mit erschwinglichen Produkten. Der Lipstick-Index war geboren.

Das beobachtete Phänomen trat erneut während der Finanzkrise 2008 und 2009 auf – auch in Deutschland. Im Januar 2009 – zur Hochzeit der Rezession – gehörten preiswerte Kosmetika nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zu den meistverkauften Produkten im Einzelhandel. Bedeutet das nun aber zwangsläufig, dass hohe Verkaufszahlen von Lippenstiften auf eine schwache Performance von echten Indizes wie DAX und Dow Jones schließen lassen?

Kritiker zweifeln Glaubwürdigkeit an

Finanzexperten erheben berechtigte Zweifel. Denn der Lipstick-Index gibt nicht immer und in jedem Land zuverlässig Aufschluss über die tatsächliche wirtschaftliche Lage. Er ist eher als „weicher“ Indikator für Konjunkturverläufe zu verstehen. Anders als offizielle Kennzahlen, wie das Bruttoinlandsprodukt oder der DAX-Kurs, basiert der Lippenstift-Index nicht auf wirtschaftswissenschaftlicher Evaluation oder tatsächlich messbaren Fakten.

Kritiker des Lipstick-Index merken beispielsweise an, dass Leonard Lauder sich bei seiner Betrachtung ausschließlich auf die Verkaufszahlen seines eigenen Unternehmens stützte – und diese seien nun einmal nicht repräsentativ. Auch sei es schwer, die Entwicklung des Absatzes von Kosmetika historisch zurückzuverfolgen. Und anhand von ein oder zwei Krisen könne man noch nicht von einem sich wiederholenden Trend sprechen.

Harte und weiche Faktoren geschickt kombinieren

Der Lipstick-Index allein ist also kein zuverlässiges Barometer in Sachen Geldanlage. Trotzdem kann es sinnvoll sein, weiche Faktoren in finanzielle Entscheidungen einzubeziehen. Denn harte Wirtschaftsfaktoren ermitteln Experten auf zwei Wegen:

  • Offizielle Wirtschaftsindikatoren basieren auf den Kennzahlen von Unternehmen oder Staaten. Die Werte sind nachweislich richtig und genau kontrollierbar. Allerdings lassen sie den menschlichen Faktor außen vor.
  • Möchten Wirtschaftsexperten das menschliche Verhalten einbeziehen, betrachten sie den sogenannten Homo oeconomicus. Dieser Modellmensch ist umfassend informiert und entscheidet stets sofort und vollkommen rational.

Die Ergebnisse dieser Betrachtungen liefern Wirtschaftsdaten, die eine gute Grundlage für Entscheidungen bieten. Den Faktor des realen menschlichen Verhaltens bilden sie aber nur unzureichend ab. Daher kann es durchaus hilfreich sein, Wirtschaftsfaktoren wie den Lipstick-Index in die eigenen Entscheidungen einfließen zu lassen – zumindest zu einem angemessenen Anteil. Mit dieser Vorgehensweise bekommen offizielle Erhebungen einen emotionalen Anstrich, der bei der Geldanlage schon oft über Gewinn und Verlust entschieden hat.

Tipp

Eine erfolgreiche Investition in Aktien erfordert neben ausreichendem Wissen ein gutes Gespür. Weiche Faktoren wie der Lipstick-Index helfen, das eigene Grundgefühl zu hinterfragen.

Kurze Röcke in guten Zeiten

Auch für andere Branchen wurden im Laufe der Zeit Indizes entwickelt, die vermeintlich Rückschlüsse auf die Konsumlaune der Bürger zulassen: Der Hemline-Index (Rocksaum-Index) beispielsweise besagt, dass die Röcke von Frauen durchschnittlich kürzer sind, wenn sich das Wirtschaftsklima aufgehellt hat. In einer Rezession würden hingegen eher lange Röcke gekauft. Und laut dem Haircut-Index gehen Menschen bei starker Konjunktur alle sechs Wochen zum Friseur, während sie sich in einer Phase des Abschwungs lediglich alle acht Wochen die Haare schneiden lassen. Von einem gewissen Zusammenhang zwischen Konjunktur und Konsumgewohnheiten darf also trotz aller Skepsis generell ausgegangen werden.

Funktionieren weiche Indizes zuverlässig?

Nicht jeder Index funktioniert in jedem Land. Sinkt in Deutschland der Umsatz der Fast-Food-Riesen McDonald’s und Burger King, geht es der Wirtschaft gut. Menschen investieren dann nämlich mehr in hochwertige Lebensmittel, was die Umsätze der Schnellimbisse schmälert. In den USA hat die Wirtschaftslage dagegen keinen Einfluss auf den Fast-Food-Konsum.

Niederländische Forscher haben derweil den Rocklängen-Index auf seine Aussagekraft hin untersucht. Die Ergebnisse sind eher ernüchternd: Zwar besteht tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der Wirtschaft und der Großzügigkeit, mit der Frauen Bein zeigen. Doch leider hinkt die Mode der tatsächlichen Entwicklung um drei Jahre hinterher und erlaubt deshalb nur einen Rückblick auf das wirtschaftliche Geschehen.

Und was ist mit dem Lipstick-Index? Auch hier raten Fachleute zur Vorsicht, denn der Lippenstift-Index aus dem Jahr 2001 ist recht jung und muss deshalb seine Aussagenkraft erst noch in weiteren Wirtschaftszyklen beweisen. Wobei sich allerdings die Anzeichen mehren, dass Wirtschaftsentwicklung und Lippenstiftabsatz zusammenhängen: Im Jahr 2015 war die wirtschaftliche Stimmung in Deutschland sehr gedämpft, der DAX entwickelte sich eher unerfreulich. Die Drogeriemarktkette dm, einer der größten Kosmetik-Einzelhändler in Deutschland, meldete zu dieser Zeit einen Zuwachs von über 4% beim Absatz von Lippenstiften. Ob sich der Lipstick-Index in Zukunft vielleicht doch als Wirtschaftsindikator bewährt? Anleger sollten das Thema auf jeden Fall im Auge behalten.

Risikohinweis

Jede Geldanlage ist mit Risiken verbunden. Die Anlage ist nicht garantiert, Schwankungen des Markts können zu Kursverlusten bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals führen. Über die speziellen Risiken des jeweiligen Wertpapierprodukts informieren Sie die jeweiligen gesetzlich vorgeschriebenen Verkaufsunterlagen. Diese sind auf www.postbank.de abrufbar, wenn Sie dort in der Suche die ISIN/WKN des Produkts eingeben, außerdem erhältlich in der Postbank Filiale bei Ihrem Wertpapierberater. Weitere Informationen enthalten zudem die „Basisinformationen für Wertpapiere und weitere Kapitalanlagen“.